Wertingens vergessene jüdische Geschichte

Wertingens vergessene jüdische Geschichte

 

Mit einer großen Anzahl von Veranstaltungen wurde im vergangenen Jahr das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gefeiert. Auch Binswangen und Buttenwiesen organisierten Projekte und Thementage anlässlich dieses Gedenkjahres. Die Stadt Wertingen konnte sich nicht daran beteiligen, denn sichtbare Spuren einer jüdischen Geschichte gibt es im Ortsbild des „schmucken Schwabenstädtchens“ nicht.

Dennoch: Es ist fast in Vergessenheit geraten, dass auch in Wertingen jüdische Einwohner lebten. Der erste Beleg stammt aus dem Jahr 1348/49: In einem zeitgenössischen Nürnberger Gedenkbuch wird berichtet, dass in den Pestpogromen dieser Jahre viele Juden in Franken und Schwaben getötet wurden, wobei auch Wertingen erwähnt wird. Wie in vielen anderen Orten auch dürften dort wohl nur einige wenige jüdische Familien gelebt haben. Mit guten Gründen kann man annehmen, dass jüdische Händler von den damaligen Ortsherren, den Truchsessen von Reichen, angesiedelt wurden, um das Gewerbe der Kleinstadt zu fördern und die finanziellen Einnahmen der Herrschaft zu vergrößern.

Die Augsburger Patrizierfamilie Langenmantel, die den Truchsessen wenig später die Herrschaft Wertingen abkaufte, führte die Politik ihrer Vorgänger fort und erlaubte wieder die Niederlassung von jüdischen Einwohnern. In den Augsburger Steuerbüchern zwischen 1377 und 1426 sind neun jüdische Wertinger erwähnt. Nach 1426 gibt es keine Nachrichten mehr von Juden aus Wertingen. Die Reichsstadt Augsburg vertrieb 1438/40 die jüdische Gemeinde. Vermutlich schloss sich die Familie Langenmantel dieser Aktion an und wies ihrerseits die Wertinger Juden aus. Die folgenden Herrschaftsinhaber, insbesondere die Pappenheimer (bis 1700) und das Kurfürstentum Bayern, erlaubten in der Folgezeit keine jüdischen Ansiedlungen mehr. Seitdem hat kein jüdischer Einwohner mehr dauerhaft in Wertingen gelebt.

Das heißt allerdings nicht, dass Juden nicht doch eine Rolle im Alltagsleben der Wertinger gespielt hätten. In seiner 1803 erschienenen Ortsgeschichte berichtet Joseph Mindler, dass „zwei Drittel des Handels die benachbarten Juden in den Händen halten“, womit die Juden aus Binswangen und Buttenwiesen gemeint sind. Weiter führt Mindler über den jüdischen Handel in Wertingen aus: „… sie handeln mit allen erdenklichen Sachen, selbst mit den Bürgern ungescheut, und wissen sich gut den Geist und Geschmack ihrer Nachbarn zu Nutzen zu machen.“

Binswanger und Buttenwiesener Juden gehörten somit zum selbstverständlichen Ortsbild der Kleinstadt Wertingen. Besonders anschaulich erzählt davon Eugen Alt in seinen „Großvatergeschichten“. So half etwa der titelgebende Großvater Johann Martin Schilling (1803–1873) dem kleingewachsenen jüdischen Händler Gumperle aus Binswangen, indem er diesen bei Hochwasser auf seinem Rücken zum Haus eines Schuldners trug. Leider verließen den wackeren Großvater auf halber Strecke die Kräfte, so dass er zusammen mit Gumperle ins Wasser fiel…

Und noch etwas verbindet Wertingen mit der jüdischen Geschichte: Nachdem es der jüdischen Gemeinde Binswangen trotz jahrzehntelanger Bemühungen nicht gelungen war, auf der dortigen Gemarkung einen Platz für den Friedhof zu erhalten, erwarb sie 1663 einen Acker auf Wertinger Flur zu diesem Zweck. Später wurde die Anhöhe, auf dem der jüdische Friedhof liegt, in Judenberg umbenannt. So kommt es zu der etwas kuriosen Situation, dass in Wertingen zwar seit 1426 keine Juden mehr leben, aber ein jüdischer Friedhof existiert, der 1663 angelegt wurde.

Skip to content