Ein Blick in die Wertinger Rechtsgeschichte

Ein Blick in die Wertinger Rechtsgeschichte

 

War Wertingen in früheren Zeiten eine Hochburg von Mördern, Räubern, Dieben und Brandstiftern? – Fast könnte man es meinen, denn in dem kleinen Städtchen, in dem vor 1800 gerade einmal 1.400 Einwohner lebten, gab es zwei Hochgerichtsstätten, an denen Hinrichtungen vollzogen wurden. Der erste Richtplatz befand sich an der Verbindungsstraße von Gottmannshofen nach Geratshofen bei der Baumgruppe in der Nähe des Bolzplatzes; der zweite stand ganz in der Nähe, kann aber nicht mehr genau lokalisiert werden.

Gab es in Wertingen so viele Schwerkriminelle, dass Hinrichtungen quasi am laufenden Band vollzogen wurden und daher ein Galgen nicht ausreichte? – Keineswegs. Die Statistik belegt eindeutig, dass Todesurteile in Wertingen nur sehr selten vollstreckt wurden. So sind im 16. Jahrhundert nur fünf derartige Fälle überliefert. In den nachfolgenden Jahrhunderten waren es nicht mehr. Die letzte Hinrichtung fand 1836 statt: Alois Gutmayr aus Meitingen wurde wegen Mordes an seiner Ehefrau durch das Schwert gerichtet.

Ein einziger Richtplatz hätte also leicht ausgereicht, um die geringe Anzahl von Hinrichtungen zu bewältigen. Warum gab es aber dann zwei davon? – Die Antwort ist recht einfach: Macht muss sichtbar gemacht werden, Macht braucht Symbole. Solange sich die herrschaftliche Tätigkeit darin erschöpft, Abgaben und Steuern einzutreiben, Heiratsverträge und Testamente zu protokollieren und Verwaltungsakten zu produzieren, nimmt sie der Untertan kaum wahr. Dies ist der Grund, warum Machthaber beeindruckende Burgen und repräsentative Schlösser bauten: Sie führten den Beherrschten die Machtfülle von Königen, Fürsten und Adeligen vor Augen. Auch Hochgerichtsstätten gehörten in früheren Zeiten zu diesen Machtsymbolen. Auch wenn nur selten Todesurteile vollstreckt wurden, erinnerte ihre bloße Existenz die Untertanen daran, wem sie zu gehorchen hatten.

In Wertingen gab es zwei Herrschaftsebenen, die miteinander konkurrierten: Als bayerisches Lehen unterstand die Herrschaft Wertingen-Hohenreichen mit dem Mittelpunkt Wertingen von 1467 bis 1700 den Erbmarschällen von Pappenheim. Diese übten auch die Blutgerichtsbarkeit aus und ließen als augenfälliges Symbol ihrer Macht einen Galgen errichten. Dieser lag an besagter Stelle auf einer kleinen Anhöhe über dem Laugna- und Zusamtal und war daher auch von großer Entfernung gut zu sehen.

Aber auch die Markgrafschaft Burgau beanspruchte die hohe Gerichtsbarkeit über Wertingen und Umgebung. Die habsburgischen Kaiser als Inhaber der Markgrafschaft Burgau wollten ihren pappenheimischen Widersachern nicht nachstehen. Auch sie ließen daher eine Hochgerichtsstätte erbauen. Zum Unterhalt dieses Richtplatzes dienten die Einkünfte aus einem Bauernhof in Wertingen, der sog. Waibelhube (Waibel = obrigkeitlicher Beamter v. a. in Gerichtssachen; Hube = Hofstelle). Entsprechend dieses Hintergrunds lautete der Hausname dieses Anwesens „Galgenbauer“ (heute Zusmarshauser Str. 12).

Heute sind die ehemaligen Richtplätze längst aus dem Ortsbild verschwunden. Nur ein Objekt erinnert noch deutlich sichtbar an dieses Kapitel der Wertinger Rechtsgeschichte: die sog. Armesünderglocke auf dem südlichen Turm der Wertinger Stadtpfarrkirche. Sie wurde immer bei Hinrichtungen geläutet. Seit 1836 war sie nun nicht mehr zu hören. Darin wird sich nichts ändern, denn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist in dieser Sache sehr eindeutig: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“ (Artikel 102). Die Armesünderglocke wird also weiter „arbeitslos“ bleiben.

Skip to content